Die eigenen Grenzen kennen – und sich abgrenzen lernen

Die Quarterlife-Phase, also die Übergangsphase vom Teenager ins Erwachsenendasein, wird auch deshalb als so stressig und anstrengend wahrgenommen, weil vieles zum ersten Mal passiert. Es gibt viele Umbrüche und Herausforderungen. Viele Dinge ändern sich von alleine, wie etwa durch Umzüge in eine andere Stadt wegen der Uni oder dem gesamten Umfeld, weil man seinen ersten Job beginnt. Und was dabei auch immer wieder hineinfällt: Das Thema Grenzen setzen und die eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und zu kommunizieren. Aber das ist manchmal einfacher gesagt als getan. In diesem Artikel möchte ich mich dem Thema des sich Abgrenzen widmen und wie es dir besser gelingen kann.

Sich abgrenzen lernen

 

Vor kurzem hatte ich selbst Erlebnisse, die mich wieder daran erinnert haben, wie wichtig es ist, die eigenen Bedürfnisse zu kennen und sich selbst zuzuhören. Unter anderem deshalb hat es auch etwas gedauert, bis ich es mal wieder geschafft habe einen neuen Text zu schreiben.

Ich glaube niemandem geht es gut, der täglich über die eigenen Grenzen geht und sich dabei selbst hintergeht. Es sei denn, es wäre eine unfassbar indifferente Person, der eh alles ziemlich egal ist. Aber das ist ja dann doch meistens nicht der Fall. Und somit wette ich, dass es da draußen eine Vielzahl an Menschen gibt, die sich daran gewöhnt haben, sich nicht vollumfänglich wohlzufühlen. Die davon ausgehen, dass das ja nunmal von ihnen in der Gesellschaft verlangt wird. Aber stimmt das eigentlich? Schauen wir uns das doch mal genauer an.

 

Warum ist es wichtig sich abgrenzen zu können?

Sich abgrenzen zu können ist deshalb so wichtig, weil es aufzeigt, dass du zum einen dich selbst kennst und sich selbst respektierst, in dem du deine eigenen Grenzen anerkennst. In dem Moment, in dem du sie nach außen hin kommunizierst und aufzeigst, erbittest du dir auch von deinem Umfeld Respekt. Das ist total legitim und macht gute Beziehungen letztlich aus: Gegenseitiger Respekt. Das gilt für alle Ebenen in sozialen Beziehungen: In deiner Familie, deiner Partnerschaft, deinen Freundschaften und – oder gerade – im Arbeitskontext.

Lernen sich abgrenzen zu können ist wahnsinnig wichtig für deine eigene Persönlichkeitsentwicklung!

 

Die eigene Sozialisation: Lernen wir eigentlich alle, uns abzugrenzen?

To be fair: Ob man selbst gut darin ist Grenzen zu setzen und sich abzugrenzen, das lernt man tatsächlich häufig schon in der Kindheit. Wirst du z.B. ermutigt, über deine Bedürfnisse zu sprechen und diese ausdrücken, ist es leichter, auch mal zu sagen „Du, ich mag aber eigentlich nicht..“, anstatt es hinunterzuschlucken. Das heißt natürlich nicht, dass man alles vermeidet, was einem nicht passt. Es geht nicht darum sich permament von allem fernzuhalten und auf einer einsamen Insel zu leben. Aber es geht darum, in sich selbst wahrzunehmen, wo du Unbehagen verspürst. Wenn zum Beispiel andere Leute über dich hinweg einscheiden, dich nicht als eigenständige Persönlichkeit wahrnehmen oder dich um Dinge bitten, die dir buchstäblich Bauchschmerzen bereiten.

Ich habe in meinem Umfeld wahrgenommen, dass es Personen gibt, die wirklich nie gelernt haben „Nein“ zu sagen. Geschweige denn ihre Bedürfnisse zu kommunizieren. Wo nach alle den Jahren ein gewisses Leiden eingesetzt hat. Du spürst, etwas stimmt nicht, aber sie kommunizieren es nicht und leiden stumm vor sich hin. Oder sie gehen permanent über ihre Grenzen und klappen dann am Ende mit einem Burn-Out zusammen.

Wie ist das bei dir? Wurdest du in deiner Jugend ermutigt, für dich selbst einzustehen und auch zu kommunizieren, wenn es dir zu viel wurde? Oder bist du es immer schon gewohnt gewesen immer und überall zu springen, zu helfen und dich an alles und jeden anzupassen? Ohne, dads deine eigenen Wünsche überhaupt wahrgenommen werden?

 

Die Abgrenzung zu den Eltern

Unsere Eltern sind – im Normalfall – unsere ersten Bezugspersonen auf dieser Welt. Sie leben uns Werte vor, ziehen uns auf und versuchen leider auch – je nach dem was man für Exemplare da so erwischt hat – die Kinder nach ihren Vorstellungen und Wünschen zu formen.

Im Besten Fall geht es Eltern darum, das Beste für ihre Kinder zu wollen. Wie das aber genau aussieht, da haben wohl viele unterschiedlichen Meinungen und Einstellungen zu. Im besten Fall unterstützen Eltern ihre Kinder. Sie stehen vielleicht hier und da mit einem Rat zur Seite, lassen letztlich aber die Kinder selbst entscheiden, was sie machen möchten. Fähigkeiten und Interessen der Kinder werden wahrgenommen und die Kinder in ihrem persönlichen Wachstum unterstützt.

Gerade in Bezug auf die Wahl von Studiengängen oder der Entwicklung von Berufswünschen und -ideen ist es aus meiner Sicht elementar wichtig, dass junge Menschen sich ihre eigene Meinung bilden können und ihre eigenen Entscheidungen treffen. Viel zu oft höre ich dann noch diese Dinge, dass die Eltern wollen, dass das Kind dies oder jenes tut. Dass es studiert oder auf diese und jene Weise lebt. Nur weil es ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen entspricht. Und dabei wahrscheinlich nicht selten Druck in jeglicher Art, ob psychisch oder finanziell, ausgeübt wird, damit die Kinder sich diesen Wünschen auch beugen.

 

Die Reflektionsfrage zur Abgrenzung: „Ist das mein Anliegen – oder das meiner Eltern?“

Denn nicht selten ist es gar nicht der Wunsch oder die Idee des Kindes in die ein oder andere Richtung zu gehen. Sicherlich ist gerade das Heranwachsen – und das ist hier mit dem Thema Quarterlife Coaching ja genau mein Thema – eine große Herausforderung. Geprägt von Unsicherheiten, Herausforderungen und auch dem Gefühl der Orientierungslosigkeit. Da ist es natürlich total legitim sich Rat bei den Eltern zu suchen oder zu schauen, was für Berufe ausgeübt und Lebensentwürfe im Umfeld denn so gelebt werden.

Aber um beim Thema Abgrenzung zu bleiben: Sich abgrenzen zu können, heißt ja auch, dass man überhaupt weiß, wer man selber ist. Quasi nach dem Motto: Wo fange ich selbst an und wo höre ich auf? Wo finde ich mich selbst wieder, und wann fängt „das Außen“ an? Nur in dem Bewusstsein des eigenen Selbsts ist es überhaupt möglich sich nach außen abzugrenzen und wahrzunehmen, was die eigenen Bedürfnisse, Wünsche etc. sind, und welche die der Außenwelt, wie der Eltern, Freunde oder anderer Bezugspersonen.

 

Grenzen setzen in Beziehungen

Gerade im sozialen Kontext empfinde ich es als enorm wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen und sich abgrenzen zu können. Mir beispielsweise als hochsensibler Person, fehlen die Filter für meine Umwelt. Das heißt, wenn Emotionen um mich herum wabern, dann nehme ich diese auf. Sie werden zu meinen eigenen Emotionen und Gefühlen. Das passiert häufig unbewusst und ich habe früher gar nicht verstanden, was eigentlich mit mir passierte. Erst als ich herausgefunden habe, dass es einen Namen dafür gibt – nämlich Hochsensibilität – hat alles, was ich in meiner Kindheit und meinem ganzen Leben erlebt habe, plötzlich Sinn gemacht. Ich hatte eine Erklärung dafür, warum es mir in einigen Bereichen immer schon schwerer fiel als anderen Menschen. Unter anderem genau hier: Mich (emotional) abzugrenzen.

Wie aber kann das gelingen, wenn man – wie ich -keinen angeborenen Filter hat? Im Grunde genommen nur auf einen Weg: Reflektieren, reflektieren, reflektieren. Sich immer wieder bewusst machen, was passiert. Waelche Gefühle bestimmte Dinge oder Reaktionen in dir auslösen. Wie es dir in bestimmten Situation geht.

 

Die Angst vor Ablehnung

Häufig entsteht das Nicht-„Nein“-Sagen wollen ja daraus, dass eine Angst vor Ablehnung da ist. Stell dir vor, dich bittet jemand um etwas, und du sagst Nein. Dann findet die andere Person dich jetzt sicher doof! Wie kannst du nur?! Aber hey, ist es nicht viel mehr so, dass a) Die Person in dem Moment, wo sie deine persönliche Grenze überschreitet, eigentlich die uncoole Person ist? Dass b) sie dich doch immer mögen sollte, und nicht nur dann, wenn du nach ihrer Pfeife tanzt und c) Selbst wenn es so wäre: Brauchst du dann wirklich diese Person in deinem Leben?

Ich denke, in einer Welt, in der viel von toxischen Beziehungen gesprochen wird, ist es legitim sich genau solchen Fragen mal zu stellen.  In einer Welt, in der von Formen von jeglichem Missbrauch, Manipulation, und Gaslightning gesprochen wird. Da ist es doch umso wichtiger auch hier wieder bewusst wahrzunehmen, was gerade eigentlich im eigenen Leben abgeht und ob da Dinge passieren, die du lieber nicht möchtest. Wenn deine Grenzen permanent übergangen werden, weil du Ängste hast jemanden zu verärgern, oder dass diese Person dich vielleicht verlässt oder sonst was. Dann stimmt da etwas in dieser Konstellation nicht.

Jeder Mensch sollte es sich selbst wert sein für sich selbst einzustehen und auch klar kommunizieren zu können, welche Bedürfnisse, Wünsche und auch Grenzen man hast. Gleichzeitig ist es unabdingbar, dass wir auch jeweils genau diese Bedürfnisse, Wünsche und Grenzen der anderen Menschen akzeptieren, tolerieren und – am allerwichtigsten – respektieren!

 

Sich abgrenzen im Arbeitskontext

All das, was ich oben bereits geschrieben habe, gilt letztlich in allen sozialen Interaktionen, die du in deinem Leben hast. Ich picke dennoch den Arbeitskontext nochmal gesondert heraus.

Das Arbeitsleben nimmt in all unserer Leben einen großen Anteil ein: Die Einstellung zur Arbeit ändert sich zwar stetig. So ist es heutzutage nicht mehr so, dass die Arbeit den absoluten Lebensinhalt darstellt. Heutzutage geht es den Menschen mehr darum eine Balance zwischen Erwerbstätigkeit und Freizeit herzustellen und einer für sie sinnvollen Tätigkeit nachzugehen. Aber was trotzdem immer bleibt: Du kannst dir die Menschen, mit denen du arbeitest, in den meisten Fällen nicht aussuchen. 

Und somit geht es gerade im Kontext des Arbeitslebens darum, einen gesunden Umgang mit Vorgesetzten, Kolleg*innen, Kund*innen und wem auch immer zu finden, um für sich selbst zu sorgen und im besten Fall natürlich gesund durch den Arbeitsalltag zu kommen. Ich glaube, ich brauche an dieser Stelle nichts von den Themen Burn-Out und hohem Krankenstand zu erzählen. In unserer schnelllebigen digitalisierten Welt fällt es auch im Berufsleben immer schwerer Grenzen zu ziehen und im Feierabend tatsächlich mal abzuschalten und wieder runterzukommen.

 

Die eigenen Grenzen und Rechte im Arbeitsleben kennen

Als ich 2023 eine Phase hatte, in der ich mich erstmal neu sortieren musste, bin ich nach meiner Rückkehr auf die Arbeitsstelle sehr offen mit meinen Bedürfnissen und Grenzen umgegangen und habe diese meinen Kolleg*innen auch kommuniziert. Das beste ist natürlich, wenn man das Glück hat, ein wohlwollendes, wertschätzendes und unterstützendes Arbeitsumfeld zu haben. Leider hat das ja nun nicht jeder.

Gerade dann ist es wichtig, sowohl die eigenen Grenzen als auch tatsächlich die eigenen Rechte im Arbeitskontext zu kennen. Muss ich alle Aufgaben übernehmen, die man mir aufhalsen will? Nein. Muss ich für meinen Chef oder Chefin permanent, also auch am Wochenende und nach Feierabend erreichbar sein? Nein! Um nur mal zwei Beispiele zu nennen.

Es ist so immens wichtig, dass du eine Arbeit bzw. eine Arbeitsstelle findest, in der du dich wohlfühlst und in der es insbesondere mit den Kolleg*innen auch funktioniert. Und da kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Lieber Grenzen sauber kommunizieren und riskieren, dass jemand mal kurzfristig verschnupft deswegen ist, als sich auf Dauer selbst auszubeuten und die eigene Gesundheit zu gefährden.

 

Wie kannst du im dich abgrenzen besser werden?

Was kannst du von all dem jetzt direkt annehmen und in deinem Leben umsetzen? Hier gibt es für dich nochmal kurz und knackig meine Ideen, wie du besser werden kannst im „Dich abgrenzen“:

 

  • Kenne deinen eigenen Bedürfnisse (Mehr dazu findest du hier in diesem Artikel). Das ist mein grundsätzliches Credo für alles, was mit deinem Leben zu tun hat: Nur wenn du dich selbst kennst, kannst du sowohl deinen eigenen Weg einschlagen, als dich auch von Meinungen und Ideen anderer abgrenzen.
  • Reflektiere dich und im Besonderen deine Gefühle: Wann geht es dir gut? Wann geht es dir nicht gut? Achte auf deine Gefühle und deine körperlichen Reaktionen.
  • Kommuniziere deine Grenzen und schaue auch darauf, ob diese von anderen eingehalten werden. Das ist natürlich nicht immer einfach und es wird immer Menschen geben, die deine Grenzen nicht akzeptieren. Aber in diesen Fällen ist es besonders wichtig standhaft zu bleiben, für sich einzustehen und einen adäquaten Umgang mit solchen Menschen zu finden.
  • Und zu guter letzt: Sei nett zu dir selbst! Lernen sich abzugrenzen ist nicht „mal eben“ getan. Sondern ein kontinuierlicher und nicht linearer Entwicklungsprozess. Sei dabei nett zu dir und gehe nicht zu hart mit dir ins Gericht, wenn du merkst, dass es dir vielleicht mal nicht so gut gelungen ist, dich abzugrenzen. Beim nächsten Mal bekommst du es sicher direkt besser hin. Auch hier gilt: Wahrnehmen, was ist und was um dich herum passiert.

 

Ich wünsche dir alles gute beim Ausprobieren und persönlichem Wachsen. Alles Gute für dich!